Ein Brief unseres Dekans Joachim Meyer:

Manch­mal wünsche ich mir, es könnte alles so bleiben, wie es gerade ist. Oder einmal war. Aber leider ist es nicht so. Und war noch nie so. Der Wechsel der Jah­res­zei­ten – auch der eben auf­kom­mende Früh­ling – lehren es uns. „Nichts ist bestän­di­ger als der Wandel“, sagt der Volks­mund. Und – leider – hat er recht. Denn Wandel ist bis­wei­len sehr anstren­gend. Das wissen wir alle. Bewährte Sicher­hei­ten müssen auf­ge­ben werden. Niemand weiß, ob es besser wird oder schlech­ter. Und wir sind nun einmal sehr unter­schied­lich im Umgang damit: Den einen fällt es leich­ter, Her­aus­for­de­run­gen anzu­neh­men. Bei den anderen erzeu­gen sie große Angst und manchen Widerstand.

All das gilt für unser pri­va­tes Leben, für das gesell­schaft­li­che Leben – und eben auch für unser kirch­li­ches Leben.

Eine Kirche ist formal gesehen eine Orga­ni­sa­tion wie die Gewerk­schaft oder die Feu­er­wehr. Fünf Merk­male kenn­zeich­nen eine Orga­ni­sa­tion: Sie hat Mit­glie­der. Sie hat eine Leitung, eine Struk­tur. Sie trifft Ent­schei­dun­gen. Sie tut alles, um ihren Bestand in irgend­ei­ner Weise zu sichern. Sie hat einen Orga­ni­sa­ti­ons­zweck. Bei der Feu­er­wehr ist es: Brände löschen, in Kata­stro­phen­fäl­len helfen. Bei der Kirche ist es: „Die Ver­kün­di­gung des Evan­ge­li­ums von Jesus Chris­tus in Wort und Tat (Dia­ko­nie = tätige Nächs­ten­liebe)“. Wer sich diesem Orga­ni­sa­ti­ons­zweck anschließt, wird Mit­glied – lässt sich taufen – und unter­stützt die Orga­ni­sa­tion auch finanziell.

Nun gibt es in den letzten Jahren in der Kirche schwie­rige Entwicklungen:

  1. Die Zahl der Mit­glie­der sinkt. Bei­spiels­weise gehör­ten 2010 3366 Men­schen in Schaaf­heim zur Kir­chen­ge­meinde, 2022 sind es noch 2614. Für Schlier­bach: 2010 waren es 379 Mit­glie­der, 2022 nur noch 275. Und in Baben­hau­sen sind aus 3249 Gemein­de­glie­dern im Jahr 2010 nur noch 2429 Men­schen im Jahr 2022 gewor­den. Die EKHN hat in diesem Zeit­raum etwa 400.000 Mit­glie­der ver­lo­ren durch Aus­tritt, Wegzug und Tod (1,7 Mio –>  1,3 Mio).
  2. Weniger Mit­glie­der heißt auch weniger Geld. Unsere Kirche muss sparen. Doch wo?
  3. Die dritte wesent­li­che Ver­än­de­rung ist der Fach­kräf­te­man­gel. Wie in anderen Berufs­grup­pen (z.B. Ärzte, Erzie­he­rIn­nen, Leh­re­rIn­nen) fehlen der Kirche durch die Ruhe­stands­ver­set­zung der gebur­ten­star­ken Jahr­gänge ihre Fach­kräfte, vor allem Pfar­re­rIn­nen und Erzie­he­rIn­nen. Jähr­lich gehen etwa 100 Pfar­re­rIn­nen in den Ruhe­stand, 30 kommen nach. Es klafft eine Lücke. Hier besteht die Not­wen­dig­keit, wie in anderen Berufs­fel­dern auch, aktiv für den Nach­wuchs zu werben. Das ist über Jahre ver­säumt worden. Wann stu­dierte zuletzt ein Schaaf­hei­mer, eine Mos­ba­che­rin oder ein Mensch aus Radheim Theo­lo­gie, um Pfarrer/Pfarrerin zu werden?
  4. Die sich wan­deln­den gesell­schaft­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen fordern auch die Kirche. So ist – bedingt durch die Kli­ma­ver­schlech­te­rung – eine Nach­rüs­tung der in die Jahre gekom­me­nen Gebäude not­wen­dig. Über 4000 Kirchen, Gemein­de­häu­ser, Pfarr­häu­ser, Kin­der­gär­ten befin­den sich in den 1100 Gemein­den der EKHN. Die aller­meis­ten sind in die Jahre gekom­men und ener­ge­tisch in einem schlech­ten Zustand. Da muss etwas pas­sie­ren. Doch das kann sich die Kirche nicht alles leisten. Sie muss ihren Gebäu­de­be­stand redu­zie­ren. Doch wie? „Immo­bi­lie“ heißt Unbe­weg­lich­keit. Und unbe­weg­lich sind wir Men­schen leider oft, wenn es um unsere Häuser geht.

Die beschrie­be­nen Phä­no­mene bedin­gen, dass die Ent­schei­dungs­or­gane unserer Kirche – die Lan­des­syn­ode und die Kir­chen­lei­tung – kurz vor der Pan­de­mie begon­nen haben, den Prozess „ekhn2030“ auf­zu­set­zen. Im Jahre 2030 sollen bestimmte Ver­än­de­run­gen umge­setzt sein. So wie bei der Bun­des­re­gie­rung auch im Blick auf die Nach­hal­tig­keit das Jahr 2030 in vielen Berei­chen als Ziel­marke im Blick ist.

Welche Ver­än­de­run­gen hat die Lan­des­syn­ode im Laufe der letzten Jahre beschlossen:

  1. Die Zahl der Pfar­re­rin­nen und Pfarrer soll gegen­über 2024 um 25 Prozent redu­ziert werden – weil es nicht mehr gibt! Weil die Zahl der Gemein­de­glie­der zurück­geht. Das bedeu­tet, dass die Arbeit anders orga­ni­siert werden muss.
  2. Gemein­den eines zusam­men­ge­hö­ri­gen Gebie­tes schlie­ßen sich zu einem Nach­bar­schafts­raum zusam­men – so haben die Kirchen-Gemein­den Schaaf­heim mit Mosbach/Radheim/Wenigumstadt mit Schlier­bach und allen zur poli­ti­schen Kommune Baben­hau­sen gehö­ren­den Orts­tei­len außer Lang­stadt eine Nach­bar­schaft gebil­det – dazu gehören dann die der­zei­tige Gesamt­kir­chen­ge­meinde Sicken­ho­fen-Her­gers­hau­sen, Baben­hau­sen und Har­res­hau­sen.  Bis spä­tes­tens Mitte 2026 bestim­men die Gemein­den, wie sie sich orga­ni­sie­ren: als eine große Gemeinde (Fusion), als Gesamt­kir­chen­ge­meinde mit teil­selbst­stän­di­gen Orts­ge­mein­den (Modell analog einer Ver­bands­ge­meinde) oder als Arbeits­ge­mein­schaft. Jedes Modell hat Vor- und Nach­teile. In einer Arbeits­gruppe beraten zurzeit Ver­tre­te­rIn­nen Ihrer Gemein­den, welches Modell am besten passt. Für das Gemein­de­le­ben bedeu­tet dies, dass die wenigen Pfarr­per­so­nen mehr gemein­sam im Verbund der Gemein­den machen: gemein­same Got­tes­dienste, gemein­same Kon­fir­man­den­ar­beit, gemein­same Kir­chen­mu­sik, ein Gemein­de­brief – u/o eine gemein­same Homepage.
  3. Und auch eine gemein­same Ver­wal­tung. An einer zen­tra­len Stelle soll es ein kir­chen­fi­nan­zier­tes großes Gemein­de­büro geben mit Archiv und anderen Räumen. In den Ein­zel­ge­mein­den kann es über den digi­ta­len Daten­ver­bund klei­nere Depen­dan­cen geben. Hier ist zusätz­li­che pro­fes­sio­nelle Unter­stüt­zung geplant.
  4. Schon im Januar 2024 hat sich eine Pla­nungs­gruppe alle Gebäude in Ihrem Nach­bar­schafts­raum ange­schaut und zeitnah soll ent­schie­den werden, welche Gebäude wie wei­ter­be­trie­ben werden können – Zuschüsse zu Betrieb und Unter­halt wird es nicht mehr für alle geben können. 20 Prozent der gesamt­kirch­li­chen Bau­un­ter­stüt­zung muss ein­ge­spart werden. Das ist die Vorgabe. Kirchen haben eine beson­dere Prio­ri­tät. Wie werden die Gebäude bewer­tet? Welche Gebäude können zusam­men mit der Kommune, mit der katho­li­schen Gemeinde genutzt werden? Schwie­rige Ent­schei­dun­gen stehen an! Der Schaaf­hei­mer Kir­chen­vor­stand hat im Februar über­legt, dass Gesprä­che mit der katho­li­schen Kir­chen­ge­meinde gesucht werden sollen, um eine mög­li­che gemein­same Nutzung von Räumen zu evaluieren.
  5. Die weniger gewor­de­nen Pfarr­per­so­nen bilden mit den Gemein­de­päd­ago­gIn­nen (in Ihrem Fall mit Andrea Pant­ring), den Kir­chen­mu­si­ke­rIn­nen haupt­amt­li­che Ver­kün­di­gungs­teams und orga­ni­sie­ren die Ver­kün­di­gungs­ar­beit vor Ort und im Nachbarschaftsraum.

Der Zeit­kor­ri­dor für die Umset­zung ist Ende 2026 bzw. 2030. 140 Mil­lio­nen Euro sollen bis 2030 auf diesem Wege ein­ge­spart werden.

Soweit in aller Kürze der Blick auf die bevor­ste­hen­den Ver­än­de­run­gen. Kirche in unserer Gesell­schaft wird und muss sich wandeln. Mit aller Anstren­gung, die das bedeu­tet. Dabei ist das Ziel aller Ver­än­de­run­gen immer vor Augen: nicht der Selbst­er­halt unter allen Umstän­den, sondern „Die Ver­kün­di­gung des Evan­ge­li­ums Jesu Christi in Wort und Tat“. Dem dienen alle diese Maß­nah­men. Daran werden sie gemes­sen. Durch ihre 2000-jährige Geschichte hat es viele Häu­tun­gen von Kirche gegeben. Wir tragen ein großes Ver­än­de­rungs­wis­sen im Schatz unserer Tra­di­tion. Bedeut­sam für unsere evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­schichte ist die Refor­ma­tion. Grund­lage jedoch sind die Maxime im Neuen Tes­ta­ment, die das Zusam­men­le­ben als Kirche Jesu Christi prägen: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfül­len.“ Oder die Jah­res­lo­sung für 2024: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Sätze wie diese hat der Apostel Paulus vor 2000 Jahren im Lichte der Auf­er­ste­hung Jesu den kleinen Gemein­den geschrie­ben. Sie prägen durch die Zeit hin­durch bis heute christ­li­che Haltung – in allen Her­aus­for­de­run­gen und durch alle Ver­än­de­run­gen unserer Kirche. 

Dekan Joachim Meyer